Schnittmuster lesen und verstehen
Entschuldigen Sie! Wo finde ich den Kinderzoo von Rapperswill?
fragte der Mann mit dem Stadtplan in der Hand.
Heute würden wir unser Handy zücken und auf Google Maps die schnellste Route anzeigen lassen. Im Jahre 1974 hat man sich aber noch auf Passanten zugetraut und gemeinsam wurde dann der Stadtplan studiert.
Dumm nur, wenn der Stadtplan in Wirklichkeit ein Schnittmuster ist 😀 Dann heißt es plötzlich „Sie müssen die hintere Mitte entlang bis zum Einreihen“.
Genau das ist nämlich bei der „Versteckten Kamera“ passiert.
Mein Gott, was habe ich mich gekringelt vor Lachen. Und dann wird immer behauptet, Frauen können keine Pläne lesen. Von wegen!
Wir können auch Schnittmuster lesen!
Falls du aber noch unsicher bist, wie so ein Schnittmuster funktioniert, keine Panik. In diesem Artikel zeige ich dir alle Elemente, die ein gutes, ordentliches Schnittmuster aufweisen sollte.
Name und/oder Nummer
Klar, schließlich können ja nicht alle Schnittmuster nur Schnittmuster heißen. Das wäre auf die Dauer dann doch etwas verwirrend 😉
Die großen Firmen vergeben oft einfach eine Nummer, aber gerade bei kleineren Schnittherstellern findet man immer eine persönliche Note beim Namen des Schnittmusters.
Modezeichnung oder Modefoto
Wenn du dich für ein Schnittmuster entscheidest, passiert das aber natürlich nicht, weil du die Nummer so sexy findest. Hier kommt das Visuelle ins Spiel. Ein ganz wichtiger Teil vom Schnittmuster ist also ein Foto oder eine Zeichnung, auf der das Kleidungsstück zu sehen ist.
Natürlich soll das Kleidungsstück auf den Bildern möglichst vorteilhaft rüberkommen. Es geht eher darum ein Feeling zu vermitteln, um was für ein Kleidungsstück es sich handelt. Ist es eher leger und für den Strand? Oder mehr klassisch fürs Büro? Details lassen sich anhand der Modezeichnung oder des Fotos oft nicht erkennen.
Technische Zeichnung
Das stört uns aber nicht weiter, denn dafür gibt es die technische Zeichnung. Wenn du alle nitty gritty Details wissen möchtest, dann ist das deine Zeichnung. Wo verlaufen die Nahtlinien, die Stepplinien? Wie viele Knöpfe hat die Bluse? Wo ist der Reißverschluss am Rock? Die technische Zeichnung stellt das fertige Kleidungsstück von vorne und hinten im geschlossenen Zustand, maßstabsgetreu dar. Du bekommst viel mehr Details.
Es ist ähnlich wie mit Architekten und Bauplänen. Wenn du ein Haus kaufen möchtest, dann hilft dir natürlich die tolle Zeichnung vom Architekten, aber die Leute, die dein Haus bauen, brauchen viel mehr Infos.
Modellbeschreibung
Als Ergänzung zur technischen Zeichnung gibt es oft eine Beschreibung, in der nochmal die wesentlichen Merkmale des Kleidungsstückes festgehalten werden. Um was handelt es sich? Kleid, Rock, Bluse? Kurz, lang? Welche Silhouette? Enganliegend oder leger? Wie wird das Kleidungsstück geschlossen? Welche Art von Reißverschluss wird genutzt? Die Modellbeschreibung kann auch Informationen liefern, die auf der technischen Zeichnung nicht zu sehen sind, wie etwa ob das Kleidungsstück gefüttert wird. Evtl. wird hier auch mit angegeben, ob der Schnitt mehr oder weniger Näherfahrung erfordert, bzw. für welche Figurtypen der Schnitt vorteilhaft ist.
Hier siehst du ein Beispiel meines Schnittmusters Alexandra.
Größentabelle
Vorweg: Es gibt weder in der EU noch weltweit eine einheitliche Größentabelle!
Das heißt, jeder Designer kann seine Größen so nennen wie er will. Vielleicht ist dir das auch schon passiert? Bei C&A brauchst du nur 38, aber sobald du Camieu betrittst, ist es als hättest du 10 Kilo zugelegt.
Keine Bange! Das liegt nicht an dir. Die Hersteller haben einfach verschiedene Größentabellen genommen.
Größe | 34 | 36 | 38 | 40 | 42 | 44 | 46 |
Brustumfang | 80 | 84 | 88 | 92 | 96 | 100 | 104 |
Taillenumfang | 65 | 68 | 72 | 76 | 80 | 84 | 88 |
Hüftumfang | 90 | 94 | 97 | 100 | 103 | 106 | 109 |
Stoffe und Zubehör
Nicht jeder Stoff ist für jeden Schnitt geeignet. Z.B. würde ein leicht fließender durchsichtiger Chiffon keine gute Grundlage für einen Blazer bilden. Andererseits ist ein fester Anzugsstoff keine gute Wahl für ein leichtes Sommerkleid. Die Schnitthersteller geben oft eine Empfehlung, welche Stoffe sich für den Schnitt eignet. Außerdem enthält ein guter Schnitt eine Liste mit allen zusätzlichen Teilen, wie Bügelvlies, Knöpfe oder Reißverschlüsse, die man für das Projekt braucht. So kann man zu Beginn des Projekts alles besorgen und sich an die Arbeit machen. Oder gibt es etwas Nervigeres als kurz vor Schluss festzustellen, dass der Verschlusshaken fehlt?
Teileliste
Die Teileliste zeigt maßstabsgetreu alle Schnittteile. Wenn ein Schnitt verschiedene Varianten enthält, wie z.B. Bluse mit oder ohne Ärmel, dann wird hier auch nochmal drauf hingewiesen, welches Teil für welche Variante benötigt wird.
Zuschneideplan und benötigte Stoffmenge
Stoff ist da, Schnittmuster ist da. Was jetzt? Am besten wirfst du jetzt einen Blick auf den Zuschneideplan. Der soll dir zeigen, wie du dein Schnittmuster so auflegst, dass du möglichst wenig Verschnitt hast.
Je nachdem wieviel Stoff du gekauft hast, ist er einige Zentimeter oder mehrere Meter lang. Klar. Aber die Breite wird durch die Breite des Webrahmens festgelegt, auf dem er gewebt wurde. Die meisten Stoffe haben eine Breite von 1,40m und daher sind auch die Zuschneidepläne oft auf diese Breite ausgelegt. Wenn dein Stoff aber nur 1,20m breit ist, brauchst du mehr Stoff. Oder wenn du Änderungen an einem Schnitt vorgenommen hast, wie z.B. einen Rock zu kürzen, dann wirst du gegebenenfalls weniger Stoff benötigen. Die Stoffmenge und die Auflagemöglichkeiten hängen auch davon ab ob dein Stoff Flor oder ein Muster hat.
Wie du dein Schnittmuster garantiert richtig auflegst, verrate ich dir hier. Du brauchst nur noch dem Ablaufdiagram folgen und schon hast du die optimale Auflagemethode 🙂
Allgemeine Informationen
Viele Schnitte haben noch ein paar zusätzliche Infos bezüglich der Nahtzugabe, z.B. ob diese im Schnitt enthalten ist, oder extra dazu gegeben werden muss. Erläuterungen zu Piktogrammen oder sonst etwas was der Schnittersteller für wichtig hält. Es ist z.B. sehr wichtig zu wissen, ob ein Schnitt die Nahtzugaben bereits enthält oder ob diese noch aufgezeichnet werden müssen. Beides geht, aber um den Schnitt richtig zusammen nähen zu können, musst du wissen woran du bist.
Nähanleitung
Die Nähanleitung soll dir helfen das Kleidungsstück zusammen zu nähen. Leider verfehlen manche Anleitungen dieses Ziel gewaltig. Mein erster verdeckter Reißverschluss und ich hab‘ nur Bahnhof verstanden. Ich habe alles zigmal gelesen und nach links und rechts gedreht, aber einfach nicht verstanden, was jetzt zu tun ist.
Das Herzstück: Der Schnittmusterbogen
Je nach Hersteller wird das Schnittmuster in Einzelgrößen oder Mehrgrößen angeboten.
Einzelgröße bedeutet, dass auf dem Schnittbogen nur eine Größe gedruckt ist. Im Gegensatz dazu gibt es auch den Mehrgrößenschnitt. Bei dieser Variante gibt es pro Schnittteil mehrere Größen. Jede Größe hat dann einen eigenen Linientyp und/oder Farbe. Beide Bögen haben ihre Vor- und Nachteile.
Angenommen du hast einen Mehrgrößenschnitt aus Papier gekauft. Würdest du den zerschneiden wollen? Was wenn du die Bluse nochmal nähen möchtest, aber mit diesen letzten 5 Kilos weniger? Oder deine beste Freundin möchte auch diesen Rock, hat aber einen anderen Hüftumfang? Normalerweise nimmt man Pauspapier und kopiert sich die Größe, die man braucht. Bei den ganzen Linien ist das aber gar nicht so einfach.
Wer sich für einen Einzelgrößenschnitt entscheidet, hat den Vorteil, dass er nicht erst seine Größe abpausen muss, sondern gleich loslegen kann. Allerdings hat er auch nur diese eine Größe. Wenn man aber z.B. bei der Taille eine Größe 38 ist und auf der Hüfte 40, könnte man beim Mehrgrößenschnitt einfach die Linie wechseln. Das geht beim Einzelgrößenschnitt nicht. Das soll aber natürlich nicht bedeuten, dass sich Einzelgrößenschnitte nicht genauso ändern lassen.
Was gehört auf ein Schnittmuster?
Solange es nicht beschriftet ist, ist es kein Schnittmuster, sondern nur ein Stück Papier.
Damit aus deinem Papier auch wirklich ein Schnittmuster wird, müssen folgende Sachen drauf:
- Name vom Schnittmuster: Schließlich ist es nicht egal, ob das jetzt der Ärmel des Schnittes Superbluse oder Megabluse ist. Glaub mir, ich habe beim Schnittmuster-Puzzle-Zusammensuchen schon unzählig viel Zeit verschwendet.
- Größe: Gerade bei einem Einzelgrößenschnitt möchtest du natürlich wissen um welche Größe es sich handelt.
- Name vom Schnittteil: Einige Schnitteile sind relativ offensichtlich, wie z.B. ein Ärmel. Aber je ausgefallener dein Schnittmuster ist, umso mehr interessante Schnittteile wirst du nicht auf den ersten (oder zweiten) Blick erkennen.
- Menge und Material: Brauchst du den Ärmel einmal oder zweimal? Brauchst du den Bund nur aus dem Oberstoff oder evtl. auch aus der Bügeleinlage? Dein Schnittmuster sollte auf jeden Fall aufzeigen wieviel du von was benötigst.
- Fadenlauf: Der Fadenlauf ist das A und O. Er wird mir einem langen Pfeil dargestellt und zeigt die Richtung, wie der Stoff aufgelegt werden muss. Was es beim Fadenlauf alles zu beachten gibt, findest du im Beitrag Fadenlauf erkennen und optimal nutzen.
- Passzeichen: Das können kleine Striche oder Dreiecke an den Konturlinien deines Schnittmusters sein. Sie helfen dir, die einzelnen Teile richtig aufeinander zu nähen. Das kann auch das Ende von einem Reißverschluss sein, oder wo Knöpfe angenäht werden sollen.
- Stoffbruch: Wenn dein Schnittteil nur einmal zugeschnitten werden muss, wie z.B. eine vordere Rockbahn, dann passiert das meisten am Stoffbruch. Achte immer darauf ob du dein Teil so zuschneiden sollst, nicht dass dir plötzlich die Hälfte fehlt oder du eine zusätzliche Naht hast, wo du gar keine wolltest.
- Sonstiges: Manche Schnittmuster passen nur so zusammen in dem sie gekräuselt oder eingereiht werden. Dies muss aber ebenfalls mit auf dem Schnittmuster angegeben werden.
Last but not least. Ein Schnittmuster ist nur ein Muster!
Schnittmuster werden nach bestimmten Konfektionsgrößen konstruiert. Da wir aber alle verschieden sind, ist es einfach unmöglich, dass ein Schnittmuster alle Figurtypen abdeckt. Die gleiche Größe wird an zwei Menschen mehr oder weniger anders aussehen. Mehr Infos findest du auch in meinem Beitrag wie man Schnittmuster für Röcke anpasst.
Wenn du also einen neuen Schnitt ausprobierst, empfehle ich dir den Sitz erstmal durch einen günstigen Probestoff zu testen und zu schauen ob und wo du Änderungen vornehmen musst, bevor du in deinen teuren Stoff schneidest. Schließlich möchtest du später DEIN Kleidungsstück tragen und nicht das Schnittmuster des Herstellers.
Nichts desto trotz sind Schnittmuster ein toller Ausgangspunkt, um wunderschöne eigene Kleidung zu erstellen.
Im nächsten Beitrag zeige ich dir was du beim Schnittmuster auflegen und dem Zuschnitt alles beachten musst, damit dein Projekt ein Erfolg wird.
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