Sommer, Sonne, tolle Grillfeste in schönen Kleidern…… ohhhh wie ich sie vermisse….
…vor allem die Kleider…
…vor allem dieses Kleid…
Was an diesem Kleid so besonders ist, verrate ich dir weiter unten. Soviel vorweg, es hat mit dem Fadenlauf zu tun.
Was ist der Fadenlauf?
Viele Mysterien ranken sich um den Fadenlauf… und manchmal auch viel Frust.
Wer ist schuld, wenn die Schulternähte deiner Bluse immer länger werden? Der Fadenlauf!
Wer wird sofort verdächtig, wenn deine Hosenbeine sich so komisch verdrehen? Der Fadenlauf!
Der Bund an deinem neuen Rock wird von Minute zu Minute grösser? Warum? Du ahnst es, der Fadenlauf!
Ja, der Fadenlauf wird für so einiges verantwortlich gemacht. Aber zurecht?
Nun, um den Fadenlauf zu erkennen, dazu müssen wir erstmal verstehen was er denn überhaupt ist. Kurz gesagt, der Fadenlauf ist die Richtung, in die die Fäden des Stoffes laufen…. Jaaa, ich kann dich schon hören,
Mensch Eva, die Aussage bringt mir so aber nix!
Keine Bange, um den Fadenlauf erkennen zu können, hab ich dir mal dieses Bild mitgebracht. Wer von euch hatte als Kind auch so einen Schulwebrahmen? Mit diesem kleinen Rahmen kannst du Stoffe weben und auch wenn das hier ein kleines Spielzeug ist, benutzt die industrielle Stoffherstellung das gleiche Prinzip.
Also, egal ob unser kleiner Rahmen oder ein riesengroßer Webstuhl, zunächst einmal müssen die Kettfäden eingespannt werden. Das sind die Fäden, die längs im Stoff verlaufen. Die Anzahl und der Durchmesser der Fäden bestimmen wie breit letztendlich der Stoff wird.
Beim Bespannen werden die Fäden auch durch den Wendekamm gezogen. Der sorgt nämlich dafür, dass jeder zweite Faden angehoben wird. So entsteht ein Raum, durch den das Schiffchen mit dem Schussfäden „geschossen“ wird. Sobald das Schiffchen durch ist werden nun mit Hilfe des Wendekammes die Positionen der Fäden gewechselt. Die, die bis jetzt unten waren kommen hoch und die Oberen gehen runter und das Schiffchen macht sich wieder auf den Rückweg. So geht das hin und her und die einfachste aller Bindungen entsteht, die Leinwandbindung.
Schön und gut, aber woran kann ich denn jetzt den Fadenlauf erkennen?
Der Fadenlauf ist letztendlich die Richtung der Kettfäden, also die Fäden die parallel zur Kante verlaufen.
Und warum ist das für uns Schneider wichtig? Das liegt an den Eigenschaften des Fadenlaufes.
Schau dir mal dieses Stückchen Stoff an. Dabei handelt es sich um einen einfachen Baumwollstoff in Leinwandbindung.
Schauen wir mal, was passiert, wenn mein Sohnemann versucht den Stoff längs, also im Fadenlauf, zu dehnen.
Nicht viel, da der Stoff praktisch gar nicht nachgibt.
Und was, wenn wir das ganze quer zum Fadenlauf, also entlang der Schussfäden machen?
Oh, sieh an, der Stoff gibt ein wenig nach. Er hat ein bisschen „natürlichen Stretch“.
Was bedeutet das für unsere Kleidung?
Wenn du figurbetonte Kleidung magst und das Atmen für dich nicht so wichtig ist, dann schneide ruhig quer zum Fadenlauf zu. Wie du gesehen hast, haben die Längsfäden, die deinen Körper umschließen, keinen Stretch und du wirst dich garantiert wie zugeschnürt fühlen (soll ja Leute geben, die das mögen) 😉
Wenn du aber wie ich ein Fan vom Atmen bist, dann achte darauf, dass du den Stoff im Fadenlauf zuschneidest, damit du den natürlichen Stretch des Stoffes für dich nutzt.
Die Verschiedenenen Eigenschaften vom Fadenlauf
Wir haben gesehen, dass er sich längs nicht dehnen lässt und quer ein wenig.
Was passiert aber, wenn wir ihn schräg dehnen?
Booooooaaaahhh, schau dir mal die mega Menge Stretch an!!
Wahnsinn, oder? Der Stoff ist reine Baumwolle, also kein bisschen elastisches Material dran und trotzdem lässt er sich so sehr dehnen.
Also, nochmal zusammen gefasst lassen sich folgende Arten vom Fadenlauf erkennen.
Die verschiedenen Eigenschaften, werden auch nochmal im nächsten Bild deutlich.
Das ist jeweils der gleiche Stoff, einmal Im Fadenlauf, quer zum Fadenlauf und im schrägen Fadenlauf aufgehangen.
Kannst du die Unterschiede im Fadenlauf erkennen?
Im geraden Fadenlauf schmiegt sich der Stoff schön um den Körper und es bilden sich zwei recht stabile Falten, wohingegen praktisch kaum Falten zu sehen sind, wenn wir den Stoff quer nehmen. Das liegt daran, dass die festeren Kettfäden nun quer liegen und den Stoff nach außen drücken. Der schräge Fadenlauf hat nochmal einen anderen Fall. Hier schmiegt sich der Stoff auch um den Körper, aber die Falten fallen anders.
Übrigens, ist das auch der Grund, warum ich genau dieses Kleid so liebe. Es ist nämlich ebenfalls im schrägen Fadenlauf geschnitten und fällt besonders schön. Auf diesem Bild lässt sich der schräge Fadenlauf gut erkennen.
Der schräge Fadenlauf
So, nach all der Werbung für den schrägen Fadenlauf, fragst du dich jetzt bestimmt, warum immer alle auf ihm rumhacken?
Das liegt daran, dass der schräge Fadenlauf eine Diva ist. Der Fadenlauf ist Maria Carey unter den Stoffen. Wenn du nicht alles ganz genau auf ihn abstimmst, dann kommt es zum Eklat.
Wie du gesehen hast, hat der schräge Fadenlauf super viel Stretch. Wenn dieser nun nicht in Schach gehalten wird und der Stoff zugeschnitten wurde, dann fangen die Kanten an sich auszudehnen.
Erinnerst du dich noch an das Beispiel der Schulternähte? Nun, da unsere Schultern nicht rechtwinklig zu unserem Körper stehen, sind die Schulternähte praktisch immer im schrägen Fadenlauf. Wenn an dieser Stelle der Stoff nicht mit einem Nahtband (welches absolut null Stretch hat) unterstützt wird, dann wird der schräge Schnitt dafür sorgen, dass deine Schulternähte früher oder später ausleiern und länger werden.
Wie du siehst, kann der schräge Fadenlauf auch eine ziemliche Bit*** sein. Hier ein paar Tipps fürs Zuschneiden:
- Schneide den Stoff erst dann zu, wenn du ihn auch verarbeiten willst
- Wenn du den Stoff zugeschnitten hast, bewege ihn so wenig wie möglich, schon gar nicht so, dass du ihn an einer Ecke hochhebst.
- Wenn du den Stoff zugeschnitten hast und doch nicht gleich vernähen wirst, stecke den Papierschnitt wieder drauf. Das wird helfen, dass dein Stoff nicht unkontrolliert wächst.
Gut, hab‘ ich verstanden, dann schneide ich halt immer im Fadenlauf
Super!!
Nur leider ist das nicht immer so einfach…. Schließlich müssen wir erstmal den Fadenlauf erkennen. Denn nur weil du parallel zur Webkante schneidest, heißt das nicht automatisch, dass du auch den Stoff im Fadenlauf zugeschnitten hast.
Bevor du mich jetzt verfluchst, schau dir nochmal dieses Diagramm an, das die Leinwandbindung darstellen soll.
Das Problem ist, dass manchmal die Kettfäden zwar parallel zur Webkante verlaufen, dafür verlaufen aber die Schussfäden nicht im 90° Winkel dazu.
Und warum ist das blöd?
Abgesehen davon, dass das in gemusterten Stoffen echt doof aussieht, hast du das größere Problem nach der ersten Wäsche. Die sorgt nämlich dafür, dass die Kett- und Schussfäden wieder ihre natürlich Position einnehmen und TADA….. hier kommen deine verdrehten Hosenbeine ins Spiel.
Ärger dich nicht weiter drüber. Es gibt praktisch nichts, und damit meine ich GAR NICHTS, was du tun kannst, um das zu retten. Wenn der Fadenlauf vor dem Zuschneiden nicht korrigiert wird, dann hat sich das erledigt.
Glaub mir, da hilft auch alles Bügeln nix.
Hier findest du auch noch mal ein paar Tipps, wie du dein Schnittmuster richtig auf den Stoff auflegen kannst.
Wie kann ich denn nun den Fadenlauf erkennen?
Am besten sehen wir das, wenn wir neben den geraden Webkanten auch mindestens eine Kante quer zum Fadenlauf hätten, von der wir sicher sein könnten, dass sie gerade ist. Aber wie bekommen wir die?
Eine weitere tolle Eigenschaft der Leinwandbindung ist, dass sie immer im Fadenlauf, bzw. quer dazu reißen wird. Vielleicht hast du schon mal gesehen, wie eine Stoffverkäuferin einen kleinen Schnitt in die Kante des Stoffes macht, dann beherzt zugreift und den Stoff auseinanderreist? Ich muss zugeben, ich LIEBE dieses Geräusch 😀
Wann immer du gefragt wirst, ob du den Stoff geschnitten oder gerissen haben möchtest, entscheide dich für die gerissene Variante. Nur so kannst du sicher sein, auch die Menge an (brauchbarem) Stoff zu bekommen, für die du bezahlst. Das geht zwar nicht bei allen Stoffen, aber wenn es der Stoff erlaubt, solltest du das ausnutzen.
Warum?
Na, schauen wir uns doch mal die Abrisskante an. Wie du siehst, verläuft die genau den Schussfäden entlang. Und jetzt lass und das Stückchen anschauen, das wir abgerissen haben. Wie du siehst schwankt die Breite und ich hatte manchmal schon 10cm breite Streifen in der Hand. Das Gleiche hast du auch am anderen Stoffrand und Schwupps sind dir genau die 20 cm Stoff flöten gegangen, die du zwar bezahlt hast, aber jetzt für dein neues Projekt fehlen.
Wenn du dann auch noch ein Muster auf dem Stoff hast, kann es auch schon mal vorkommen, dass du ihn besser aussortierst. Diesen Stoff benutze ich z.B. nur noch, wenn ich eine neue Technik ausprobieren. Um in einem Projekt verarbeitet zu werden ist es dank des schräg aufgedruckten Musters unbrauchbar.
Falls dein Stoff sich nicht reißen lassen möchte, dann kannst du auch versuchen an einen Schussfaden zu ziehen und dann der Linie entlang zu schneiden. Wenn der Stoff locker gewebt ist, kannst du auch einen ganzen Faden auf einmal herausziehen, ansonsten mach es einfach stückchenweise. Hauptsache ist, dass du eine gerade Kante bekommst.
Wenn du nämlich eine gerade Kante hast, dann müsstest du den Stoff doch auch ganz einfach zur Hälfte falten können, nicht wahr? Ja, eigentlich….
Das Problem sind aber nach wie vor deine verzogenen Schussfäden. Stell dir das vor, wie ein Stück Papier in Form eines Parallelogramms vor. Wenn du das zur Hälfte faltest, werden auch nicht alle Kanten aufeinander liegen.
Ok, Fadenlauf erkennen klappt. Aber wie korrigiert man den jetzt?
Du hast drei Optionen.
- Option 1: Wenn der Stoff nicht allzu sehr verzogen ist
Als erstes legst du alle Kanten aufeinander und fixierst diese mit ein paar Stecknadeln. Dann nimmst du dein Dampfbügeleisen und mit viel Dampf, Zeit und Gefühl schiebst du die Fäden wieder zurück in Position.
- Option 2: Wenn der Stoff ein bisschen mehr verzogen ist
Als erstes legst du wieder alle Kanten aufeinander und schaust in welche Richtung die Falten zeigen. Markiere die Ecke mit etwas. Danach kannst du den Stoff wieder auseinanderfalten. Nun nimmst du die Ecke, die du markiert hast und die gegenüberliegende und ziehst kräftig daran. Jetzt überprüfst du wie viel noch fehlt. Es kann sein, dass du das mehrmals machen musst. Es kann auch sein, dass du übertrieben hast und nun in die andere Richtung ziehen muss.
Ich will ehrlich zu dir sein. Diese beiden Möglichkeiten haben sicherlich ihre Daseins -Berechtigung, aber dieses Stoff hin und her Gezerre… Neee, das ist nicht meins.
Ich bin klarer Fan von Option 3 und wenn du aufmerksam gelesen hast, weißt du auch schon was das ist.
WASCHEN!!
Den Stoff so vorwaschen, wie du später auch das fertige Kleidungsstück behandeln wirst, hat ganz viele Vorteile.
Zum einen entspannen sich die Fäden und suchen sich ihre natürliche Position, womit sich das ganze Stoffgezerre erledigt hat und du mit einem Stoff arbeiten kannst der schön im Fadenlauf liegt.
Ein weiterer Vorteil ist, dass du dein Teil gleich anziehen kannst sobald du fertig bist.
Außerdem wird überschüssige Farben gleichmal ausgewaschen. Das ist vor allem dann sehr sinnvoll, wenn du verschiedene farbige Stoffe zusammennähst. Ich sag nur rote Socke in der Waschmaschine vergessen…
Und überhaupt finde ich es angenehmer mit Stoff zu arbeiten der sauber ist.
Das Waschen macht den Stoff etwas weicher. Ich weiß, dass einige lieber mit dem Stoff arbeiten, solange er noch etwas steifer ist, aber ein bisschen Bügelstärke hilft da Wunder.
Dir fehlt noch ein bisschen schrägschnitt Inspiration?
Kein Problem, ich weiß was da hilft. Ein paar Bilder der Königin des Schrägschnittes, Madame Vionnet!
Es wird zwar manchmal behauptet, Mme Vionnet hätte den Zuschnitt im schrägen Fadenlauf erfunden, aber das stimmt nicht. Was aber stimmt, ist das Mme Vionnet die Arbeit mit dem Schrägschnitt wie keine Andere beherrschte. Wer sich damit ein wenig weiter beschäftigen möchte, sollte sich auch unbedingt das Buch Madeleine Vionnet von Betty Kirke (*affiliate Link) anschauen, da dort neben zahlreichen tollen Bildern auch die Schnittmuster dargestellt sind.